Der Profi rät: Die Rollen leben

Schauspieler Benjamin Stoll leitet Theaterworkshop in Parsau

Parsau (tru). Eine Bank und zwei Fremde, die beide die Bank für sich haben wollen. Das ist die Ausgangssituation. Ob ein Penner der Geschäftsfrau auf die Pelle rückt oder der Jogger der jungen Frau mit Einkaufstüten sein schweißnasses Handtuch beinahe durchs Gesicht wischt – jedes der acht acht Zweierteams beim Theaterworkshop in der Parsauer Freikirche erarbeitete seine eigene Szene. Zunächst ohne Worte.

Authentisch und echt

»Wir wollten unsere Gottesdienstkultur erweitern«, begründet Pastor Albrecht Dienersberger den Workshop. Wenn Spielszenen die Gottesdienste bereichern, »sollen die Schauspieler authentisch und echt spielen«. Deshalb hatte die Gemeinde den Berliner Schauspieler Benjamin Stoll eingeladen.

Stoll definiert zunächst den Ist-Zustand: »Bei vielen Laienschauspielern schleicht sich eine Theatralik ein, die mit der Realität nichts mehr zu tun hat und die Zuschauer nicht erreicht.« Deshalb sollen die Workshop-Teilnehmer lernen, ihre Rollen zu leben. Stoll zeigt, wie ein echter Raucher eine Zigarette hält:

»Zwischen Zeigefinger und Mittelfinger, ungefähr in Höhe des ersten Gelenks.« Damit der Zuschauer weiß, dass der Schauspieler raucht, obwohl er nichts in den Händen hält.

Einen Tag lang haben die 16 Teilnehmer an ihren Szenen gefeilt, haben sie sich gegenseitig vorgeführt, Lob und Verbesserungsvorschläge gehört. Dann kommt die Sprache dazu. Jedes Team hatte sich gleich zu Beginn des Workshops einen Kurzen Dialog überlegt. Mit den Szenen haben diese Dialoge auf den ersten Blick gar nichts zu tun. Und doch will Stoll, dass jedes Team den Dialog zur von ihm erarbeiteten Szene über die umkämpfte Bank spricht.

Das ist der Alltag

Im Gespräch mit der AZ erklärt er: »Auch im Alltag findet direkte Kommunikation selten statt.« Er bringt das Beispiel vom Frühstückstisch: »Einer hinter der Zeitung, der andere an der Kaffeemaschine. Scheinbar vertraute Personen bleiben sich im Alltag oft fremd.« Wie die beiden, die um die Parkbank kämpfen. Womit Stolls Ziel erreicht wäre: »Theater spiegelt Alltag wider.«

Christina Rudert, Aller-Zeitung vom 01.09.2008

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