Verkehrte Flucht
– Hayas Zeitreise nach Hause
Ein Theaterstück von Benjamin Stoll (Regie und Textbuch) und Angela Fusban über Flucht und Heimat, Mobbing und Freundschaft zwischen unveränderbarer Vergangenheit und gestaltbarer Zukunft. Mit biographischen Elementen mitwirkender (geflüchteter) Kinder.
Ausgezeichnet mit dem Mete-Ekşi-Preis 2016, nominiert für den Deutschen Engagementpreis 2017 und demnächst auch als Hörspielfassung.
Verkehrte Flucht – das Stück
Nachdem Haya als syrisches Flüchtlingskind in Deutschland gemobbt und von ihren Eltern und Lehrern nicht ernst genommen wird, stiehlt sie die in der Schulprojektwoche entwickelte Zeitmaschine und reist in die Vergangenheit zurück nach Syrien um die Flucht ihrer Familie zu verhindern. Als die Kinder ihrer Schule ihr nachreisen um das zu vereiteln, beginnen sie Haya und ihre Geschichte zu verstehen. Wieder zurück in Deutschland landen sie durch einen Unfall anstatt in der Gegenwart in der Zukunft, die sich als Horrorszenario herausstellt, in der sich Deutschland zum Krisengebiet gewandelt hat.
Als Haya die letzte Chance erhält, als Einzige in die Gegenwart zurückzureisen, steht sie vor einer großen Entscheidung …
Bericht von Deutschlandradio
Deutschlandradio Kultur hat über die Preisverleihung berichtet und unsere Hauptdarstellerin interviewt:
Und der dazugehörende Zeitungsbericht.
Über die Autoren
Benjamin Stoll ist Schauspieler und Regisseur und leidenschaftlicher Familienvater. Er leitet seit 2011 die Theater-AG. Er entwickelte und schrieb das Stück, nachdem die einzelnen Inhalte zusammen mit den Kindern erarbeitet wurden.
Angela Fusban ist von 1988 bis 2016 Lehrerin an der Scharmützelsee-Grundschule gewesen. Davon unterrichtete sie 14 Jahre die Theater-AG der Schule.
Beide haben gemeinsam zwischen 2011 und 2016 insgesamt fünf Theaterproduktionen auf die Bühne gebracht. »Verkehrte Flucht« wurde auch im Rahmen der Neuköllner Theatertage 2016 aufgeführt.
»Verkehrte Flucht« zog große Kreise, so dass auch Investoren aufmerksam wurden, die es nun ermöglichen, aus dem Theaterstück gemeinsam mit den Kindern ein Hörspiel zu produzieren. Dieses Hörspiel kann so an Schulen und anderen Einrichtungen verbreitet werden, damit diese berührende Geschichte viele erreichen kann.
Über die Produktion
Die Theater-AG der Scharmützelsee-Grundschule in Berlin-Schöneberg existiert seit 1993 für die Schüler der vierten bis sechsten Klassen. Seit 2011 wird sie geleitet von Benjamin Stoll. Jedes Jahr führt er mit der Theater-AG ein Stück auf, das er gemeinsam mit den Kindern der AG erarbeitet und an dessen Inhalt die Kinder maßgeblich beteiligt sind.
Im Schuljahr 2015/2016 waren es insgesamt 25 Kinder aus 16 Nationen. Darunter zwei Flüchtlingsmädchen aus Syrien und Libyen. In den ersten Unterrichtswochen durften die beiden erzählen, wie sie ihre alte Heimat, den Krieg und ihre Flucht erlebt hatten. Die anderen Kinder saßen dabei jedes Mal mucksmäuschenstill auf ihren Plätzen und hörten wie gebannt den beiden zu. Vieles davon musste erst einmal besprochen und verarbeitet werden.
Da wir gerne ein Stück über Zeitreise inszenieren, gleichzeitig aber auch das Thema Flucht weiter behandeln und vertiefen wollten, beschlossen wir eine Geschichte zu entwickeln, die beides vereint.
So entstand »Verkehrte Flucht – Hayas Zeitreise nach Hause«. Dabei beinhaltete die Geschichte vom syrischen Mädchen »Haya Hassad« viele Erlebnisse der beiden Mädchen aus der AG. Mada, die mit ihrer Familie drei Jahre zuvor aus Syrien fliehen musste, weil ihr Vater politisch verfolgt wurde, übernahm die Hauptrolle und spielte Haya. Dabei war es uns wichtig, dass Haya eine fiktive Person bleibt und nicht alles der Geschichte von Mada entsprach, um Mada zu schützen und ihr die Möglichkeit zu geben, wirklich nur eine Rolle zu spielen. Dennoch füllte sie diese Rolle mit viel Herzblut, Leidenschaft und großer Überzeugungskraft.
Mit Haya und Fynn bot das Stück auch eine kleine Liebesgeschichte. Denn Fynn mochte Haya, leugnete sie anschließend aber vor der ganzen Klasse, um nicht ausgelacht zu werden. Am Ende war er aber in der Zukunft an der Rettung und an Hayas Wandlung maßgeblich beteiligt.
Ein weiteres wichtiges Element im Stück boten die drei »Zicken« Jenny, Barbie und Vanessa. Sie mobbten Haya von Anfang an und rissen die ganze Klasse mit sich. Dass Haya ausgerechnet die Zeitmaschine aus ihrem Projekt der Projektwoche stahl, passte ihnen natürlich überhaupt nicht. So war es selbstverständlich, dass sie sich mit Lisa, der Tüftlerin der Zeitmaschine, mit auf die Zeitreise begaben, um Haya zu finden. Weil die drei Zicken nun Hayas Vergangenheit hautnah erleben mussten, verstanden am Ende selbst sie, was Haya alles durchmachen musste und bereuten zum Teil ihr Verhalten. Durch die Tapsigkeit und Naivität der drei Zicken, sorgte das Stück an den richtigen Stellen immer wieder für die nötigen Lacher und Auflockerungen. So wurde die Distanz zu den Zuschauern abgebaut und das Stück konnte mit seinem geballten Inhalt das Publikum bewegen.
Neben drei Schaulaufführungen im Mai 2016 vor den Schülern, Lehrern und Eltern der Schule, führten wir das Stück auch im Rahmen der Neuköllner Theatertage der Grundschulen im Juni 2016 im Gemeindehaus Gropiusstadt auf.
Das Stück bewegte Kinder wie Lehrer und Eltern gleichermaßen. Gerade die Szene in Syrien, als Hayas Familie an ihrem Kindergeburtstag von Soldaten heimgesucht wurde und die Wohnung anschließend völlig verwüstet war, schockierte und berührte. Wochenlang war dieses Theaterstück Thema Nummer eins an der Schule und in den Familien. Sowohl in den Klassenzimmern als auch im Ganztagsbereich (Hort) wurde das Thema weiterverarbeitet und besprochen, weil es die Schüler sehr beschäftigte.
Ein Lehrer gab zu, die Flüchtlingsdebatte wäre für ihn immer sehr weit weg gewesen. Aber als der Vorhang aufging und die vielen Flüchtlinge schreiend hinter dem Grenzzaun standen, war es für ihn plötzlich so erschreckend nah. Und zum ersten Mal war er sich der ganzen Problematik bewusst.
Bei der letzten Aufführung in Neukölln saß Madas Vater in der ersten Reihe. Zu Tränen gerührt sprang er am Ende auf die Bühne und umarmte seine Tochter. Mit feuchten Augen erzählte er uns, sie habe hier sein Leben gespielt.