Jetzt ist wieder Adventszeit. Die Zeit, in der die ganze Stadt in eine märchenhafte Landschaft eintaucht. Und selbst die Weihnachtsgeschichte verkommt zu einem Weihnachtsmärchen. Da sind die drei Wahrsager aus dem Morgenland, die werden zu Königen. Die stinkenden, verratzten Hirten werden zu edlen Tierfreunden und selbst die verschissene Futterkrippe hat goldenes Stroh.
Aber, wenn die Weihnachtsgeschichte schon wie ein Märchen erzählt wird, dann bitte richtig! Denn wenn die Weihnachtsgeschichte ein Märchen wäre, müsste man sie so erzählen …

Mein Beitrag zum 7. Türchen das Online-Adventskalenders meiner Agentur Red Carpet Actors.
Und hier gibt es die Aufzeichung der Uraufführung vom 20.12.2009.
Den Download des Texts gibt’s am Ende der Seite.

Das Weihnachtsmärchen

von Benjamin Stoll

Es war einmal ein junges Paar
Sie war hochschwanger, wie sonderbar
Er rief sie Maria, Joseph sie ihn
Sie zogen schon lange des Weges dahin

Bethlehem hieß das verlegene Ziel
Doch war’s für Maria kein leichtes Spiel
Trotz aller Bedenken mussten sie fort
Fern ihrer Heimat an jenen Ort,
Wo Joseph einst geboren war
Welch Schicksal ereilte das armsel’ge Paar

Denn es begab sich zu der Zeit,
Als jene Hoheit
Ein Gebot erließ,
Dass G’sell und Spieß,
Edler und Flegel,
Zwerg und Ries,
Kind und Kegel
Geschätzt werden sollte
So war es die Pflicht,
Zu gehen, ob man wollte
Oder ob nicht

So ritten sie spät durch Nacht und Wind
Sie auf dem Esel, im Bauche das Kind
»Mein Joseph, was verbirgst du so bang dein Gesicht?
Kennst du den Weg nach Bethlehem nicht?«
»Doch Maria, halte noch ein
Gleich hinter dem Wald dort müsste es sein!«

Maria und Josef verirrten sich im Wald
Es war so finster und auch so bitterkalt
Sie kamen an ein Häuschen, ein Gasthaus nach dem Schein,
Mag wohl noch Raum in der Landherberge sein?

Joseph riss sich zusamm’ und ging mutig vor,
Klopfte entschlossen ans hölzerne Tor

»Knusper Knusper Knäuschen,
Wer klopft da an mein Häuschen?«
– »Der Wind, der Wind,
Maria und Joseph und
Das himmlische Kind!«

– »Wir machen nicht auf, du bist uns’re Mutter nicht,
Denn ihre Stimm ist fein, wenn sie zu uns spricht!
Deine Stimm’ ist rauh, also sei still!
Du bist sicher der Wolf, der uns fressen will!«

Maria und Joseph, waren entsetzt,
Nach all den Strapazen sichtlich verletzt
War das nach der Reise der Mühe Lohn,
Statt Ruhe und Speise nur Spott und Hohn?

Doch eh sie’s versah’n, knarrte das Tor
Ein sehr alter Mann schaute hervor

»Entschuld’gen Sie vielmals, werte Leute,
Sie sind nicht die ersten, die hier anklopfen heute
Ich muss jeden enttäuschen, der Herberge sucht,
All uns’re Zimmer sind ausgebucht
Sie brauchen auch gar nicht die andern erst fragen,
Die Stadt ist belegt in diesen Tagen
Doch halt, wie ich sehe, Sie erwarten ein Kind
Dort drüben im Stall finden Sie Schutz vor dem Wind!«

Er brachte die beiden samt ihrem Tier,
Zum dortigen Stalle, worin sich ein Stier,
Ein Schaf und ein Esel schon breit gemacht,
Na, Halleluja, welch spaßige Nacht!

Joseph sah seinen Esel und schickte ihn fort,
Es war schon genug Vieh an diesem Ort
Der fand einen Hund, ne Katz und nen Hahn,
Und setzte zur Reise nach Bremen an

Derweil in dem Stall hatte in dieser Nacht
Maria ihr Baby zur Welt gebracht
Ein Knabe – so lieblich, so edel und fein,
Er sollte mal Herrscher des Landes sein!
Sie nannten ihn Jesus, wie’s Herrschern gebührt,
Ein Name der Arme dem Elend entführt
Noch mancher Wunsch ging von ihren Lippen
Sie legten ihn in eine der Futterkrippen
Mit großer Hoffnung schliefen sie ein,
Obwohl dieser Rahmen ein and’rer könnt sein

Zur selben Stund an anderer Stell,
Wurd’s auf dem Felde schlagartig hell,
Ein Häufchen Hirten samt Ziege und Schaf,
Riss eine Fee unsanft aus dem Schlaf

»Fürchtet euch nicht!« ertönte die Fee
»Friede euch Menschen, Ehr’ Gott in der Höh’!
Euch ist heute der Heiland gebor’n,
Von einer Jungfrau auserkorn!«
Sie schickte die Hirten zu jenem Stall,
Und machte nen Abgang mit lautem Knall

Nun denn die Hirten erholt von dem Schock,
Nahmen sich Mut und den Hirtenstock
Und gingen gemeinsam mit sieben Ziegen
Zum Stalle um auch mal das Baby zu wiegen
Allen voran der treudoofe Rolf,
Der kannte den Weg nicht und lief sich nen Wolf

»Rukedidu,
Blut ist im Schuh!
Das hat man davon,
Wenn man so dumm läuft wie du!«

Nach langen und scheinbar unendlichen Pfaden
Und mächtigen Krämpfen in ihren Waden,
Pochten sie behende ans Scheunentor,
Als Joseph darinnen schreckte empor

»Wer ist da? Wer klopft da? Könnt ihr nicht leis’ sein?«
– »Ich bin’s, der Rolf und die sieben Geislein!«
– »Du Scherzbold, verschwinde! Sonst mach ich dich kalt!
Denn bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!«

»Ach Joseph«, hakte Maria ein,
»Bewahre die Ruhe und lass sie doch rein!
Bei dem Geschrei kann ich doch eh nicht schlafen,
Was kümmern da Hirten mit Ziegen und Schafen?«

Sie öffnete Rolf und Konsorten die Tür,
Die traten herein und bedankten sich für
Das Vertrauen, das ihnen entgegengebracht
Und freuten sich über das Glück dieser Nacht

Sie saßen und standen andächtig beim Kind,
Das auf dem Futter von Esel und Rind,
Da lag und schlief wie neu geboren
Und bemerkten dabei dessen riesigen Ohren
»Maria, was soll das bedeuten, sagt an!«
– »Na, damit er euch besser hören kann!«

Rolf, der gute
Hirte mit Ruthe,
War recht ungeschickt
Hatte so tolle,
Ganz ungeniert,
Aus roter Wolle,
Dass es nicht friert,
Dem Christkind ein Käppchen gestrickt

Maria war davon wenig begeistert,
Hätte die Strickkunst selbst besser gemeistert
Verlor sie doch beinah die Fassung und kochte,
Als es erneut an das Scheunentor pochte

Sie rief, hier werde niemand vermisst!
»Sei’s drum, herein, wenn’s kein Schneider ist!«

Das Tor ging auf und da standen verhalten,
Drei edle, exotische Lichtgestalten

»Grüß Gott, liebe Leut’, wir kommen von fern
Gestatten, Kaspar, Baltasar und Melchior,
Wir folgten ganz frech einem seltsamen Stern
Den man über dem Wald da sah
Wir hörten bereits von der fröhlichen Kunde,
Das Königskind, längst schon in aller Munde!
Der böse König sieht sich in Nöten,
Gab uns den Auftrag, wir sollten es töten
Die Order sorgte für Schmerz und Weh
Wir brachten stattdessen das Herz von dem Reh,
Das uns plötzlich über die Straße lief
Melchior war es, der dabei schlief
Das Reh wollte doch nur die Straße rüber,
Doch Melchis Kamel trampelte einfach drüber«

Man hörte den Dreien andächtig zu:
Vom bösen König, der sie nun ließ in Ruh
Vom Stern, der sie führte an diesen Ort
Zu finden das Kindlein, so fuhren sie fort …

»Und nun, liebes Kindlein, gib fein acht,
Wir haben dir etwas mitgebracht:

Gold für den baldigen König,
Zum Reichtum für die Armen!
Weihrauch und Myrrhe ein wenig,
Denn hier drin mieft’s, Gott hab erbarmen!«

Maria und Joseph waren reich und zufrieden
Auch Rolf und Konsorten mussten nie wieder hüten

Jesus wuchs heran als ein mächtiger Prinz,
Dann folgte die Krönung in der Römer-Provinz
Er vertrieb die Lateiner aus seinem Reich
Und auch der böse König Unterlage seinem Streich
Am Tage der Krönung beim königlichen Feste
Bekam er glühende Pantoffeln zur Belustigung der Gäste
Man ließ ihn darin tanzen bis zum bitteren Ende
Das Schicksal des Landes nahm so seine Wende

Lang herrschte Jesus über Land und Leute
Und wenn er nicht gestorben ist, lebt er noch heute

 »Das Weihnachtsmärchen« © 2010 Copyright Benjamin Stoll. Dieses Weihnachtsmärchen darf unter Nennung des Autoren frei verwendet werden. Änderungen sowie Neu- und Weiterverarbeitung von Teilen und Auszügen sind untersagt.

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